Abstract für den Arbeitskreis "Phänomen Second Life - Die Erschaffung einer neuen Welt?" bei den Alpbacher Technologiegesprächen 2007. Paul Meinl, Juli 2007
Für mehr und mehr Menschen stellt das Internet einen fixen Bestandteil ihrer beruflichen und privaten Lebenswelt dar. Machte anfangs vor allem die sekundenschnelle Verfügbarkeit einer scheinbar unendlichen Menge an Information die Attraktivität des Mediums aus, so tritt in den letzten Jahren immer stärker die Funktion als sozialer Raum in den Vordergrund. An Stelle der passiven Konsumation von Information und der deutlichen Trennung zwischen Produzent und Benutzer tritt in zunehmendem Ausmaß der Austausch zwischen annäherend gleichberechtigten Individuen. In engem Zusammenhang damit entwickelt sich das Internet immer mehr zu einem Medium für den Aufbau und die Pflege sozialer Beziehungen. Die Grenzen zwischen realer und virtueller Welt verschwimmen dabei immer stärker. Das Erleben im virtuellen Raum nimmt in Ergänzung zur als real empfundenen Lebenswelt stetig an Bedeutung zu. Neben mehreren anderen Entwicklungen ist die 3D-Welt Second Life ein signifikantes Beispiel für diese Virtualisierung unserer Erfahrungswelten. Unabhängig vom derzeitigen Abflauen der Faszination um Second Life nach einer Phase des extremen Hypes lassen sich anhand dieses Beispiels interessante, mit den virtuellen Lebenswelten der Zukunft verbundene Chancen und Notwendigkeiten aufzeigen. Davor ist es allerdings lohnend, die grundlegende Überlegung anzustellen, warum Menschen überhaupt von sich aus in einer virtuellen Welt aktiv werden sollten. Die wesentliche Motivation kann eigentlich nur in einer speziellen Form des Erlebens bestehen. Der Besuch der virtuellen Welt muss relevante Möglichkeiten bieten, die das reale Leben in dieser Form nicht oder nur unter höherem Aufwand eröffnet. Diese Überlegung liegt zwar auf der Hand, wird aber im Enthusiasmus über die zukünftigen Entwicklungspotenziale oft außer Acht gelassen. (Die Entwicklung der Usage-Statistiken von Second Life zeigt deutlich, dass für viele die Frage nach dem Nutzen nach einer kurzen Phase des neugierigen Entdeckens unbeantwortet blieb.) Nutzung des Potenzials - Beispiel Bildung & Lernen Ein signifikantes Beispiel für die derzeitige Nutzung der neuen technologischen Möglichkeiten ist der Bildungsbereich. Bildungseinrichtungen gehören zu den Pionieren in Second Life, gefördert durch spezielle Konditionen beim Erwerb von Land nützen sie die Möglichkeit, virtuelle Lehrveranstaltungen anzubieten. Die Herangehensweise ist beispielhaft für alle anderen Bereiche: Etablierte, mehr oder weniger erfolgreiche Modelle aus der realen Welt werden eins zu eins in das virtuelle Umfeld übertragen. So entspricht die Gestaltung des Bildungsangebots der herkömmlichen Methode der Wissensvermittlung. Ein Vortragender gibt sein Wissen an eine Gruppe von Lernenden weiter. Der einzige Vorteil dieser virtuellen Lehrveranstaltungen gegenüber denen im realen Raum ist die örtliche Ungebundenheit. Dabei bietet eine virtuelle Lebenswelt wie Second Life wesentlich mehr: ein Umfeld, in dem auf vielfältige Weise neue Erfahrungen erworben werden können; die Möglichkeit, öffentlichen Raum, Gebäude und Landschaften zu gestalten und deren Wirkung auf ihre Besucher zu untersuchen; Rahmenbedingungen, unter denen soziale Interaktion in verschiedenen Rollen und unterschiedlichen Kontexten erprobt werden kann. Für Lernende sind dies ideale Voraussetzungen: Die Vielfalt des Angebots fördert die Neugier, der spielerische Zugang weckt die Lust am Experiment und der große Gestaltungsfreiraum geben breiten Raum, Ideen ohne großen Aufwand auch tatsächlich umzusetzen. Es bleibt abzuwarten, wann und in welcher Weise sich Bildungsanbieter auf diese neuen Möglichkeiten einstellen und Nutzen daraus ziehen werden. Dies gilt in ähnlicher Weise auch für alle anderen Bereiche. Wann und auf welche Weise werden Individuen und Organisationen diese neuen Räume, in denen sich kreatives Potenzial entfalten kann, zu nutzen wissen? Digitale Identität Verbunden mit der persönlichen Repräsentation im virtuellen Raum ist die Frage nach der digitalen Identität. Diese setzt sich aus verschiedenen identitätsstiftenden Facetten zusammen. Diese wirken zum Einen nach außen, sind also durch andere wahrnehmbar, zum Anderen handelt es sich um Elemente, die nach innen die eigene Identität konstituieren. In der einen oder anderen Form besitzt heutzutage jeder Internetuser eine digitale Identität - höchstwahrscheinlich sogar mehrere - die ihn nach außen repräsentiert. Oft ist dabei keine Verbindung zwischen der digitalen und der dahinterstehenden realen Identität zu erkennen, Individuen agieren im virtuellen Raum oftmals anonym. In den Fällen, in denen die Verbindung erkennbar ist, ist diese nur selten auch verlässlich und gegen Missbrauch geschützt. In Second Life ist die Trennung zwischen Avatar und realer Person strikt eingehalten. Während dies für viele natürlich wesentlich zur Attraktivität derartiger Online-Welten beiträgt, wird es von anderer Seite zunehmend problematisiert, vor allem aus juristischen und wirtschaftlichen Überlegungen heraus. Es wird interessant zu beobachten sein, welche Lösungen in Zukunft zu Verfügung stehen werden, um Identitäten im virtuellen Raum abzubilden und sie mit den dahinterstehenden realen Personen in Verbindung zu bringen. Identitätsverlust Die zunehmende Digitalisierung führt auch zu einer noch wenig beachteten generellen Problematik, die durch die „Flüchtigkeit" von digitaler Information entsteht. Die zeitliche Verfügbarkeit digitaler Daten ist derzeit höchst beschränkt, ihr längerfristiger Bestand nicht gesichert. (Auszug aus den Benutzungsbedingungen von Second Life: 5.3 All data on Linden Lab's servers are subject to deletion,...) Das Problem des Datenverlusts sowie mögliche Lösungsstrategien werden unter dem Gesichtspunkt der Wahrung des kulturellen Erbes sowie im Bereich der Unternehmensdatenspeicherung schon seit längerem diskutiert. Noch wenig beachtet wird allerdings der Aspekt, dass diese Problematik auch die digitale Identität von Personen betrifft. Derzeit gibt es kaum Möglichkeiten, dem damit verbundenen (partiellen) Identitätsverlust vorzubeugen. Allerdings wird es ohne Lösung dieses Problems nicht möglich sein, das Potenzial virtueller Räume voll zu nutzen. |